Für uns als Kajafahrer übt der Rio Baker eine magische Anziehungskraft aus. Sein türkisblaues Wasser beim Ausfluss aus dem Lago Bertrand wird leider schon bald getrübt, nämlich beim Zusammenfluss mit dem Gletscherfluss Rio Nef. Hier befindet sich ein riesiger Abfall gefolgt von drei kurzen Schluchten. Wuchtwasser vom Feinsten! Im Kajak wird all dies gefahren, schwimmen darf man hier jedoch nicht! Leider (oder zum Glück?) ist das für uns nichts mehr und wir begnügen uns mit Staunen!
Nachher fliesst der Rio Baker gemächlich mäandrierend vor sich hin, bis er nach etwa 130 km bei Tortel in den Pazifik mündet. Nur noch einmal, etwa in der Mitte seines Verlaufs, wird er durch eine weitere Klamm gezwängt. Auch diese kurze Schlucht ist eigentlich fahrbar, wäre da nicht beim Ausgang „El Salton“ (Der Sprung), beim aktuellen Wasserstand ein „deadly hole“ mit einem Rücklauf von mehr als sechs Metern über die ganze Flussbreite.
Wir verbringen drei gemütliche Tage auf der „Estancia Rio Nadis“ in der Nähe von „El Salton“. Die Estancia betreibt einen kleinen Zeltplatz mit einer Küche, Badezimmer, Feuerstelle und sogar zwei Mehrbettzimmern. Auf letztere verzichten wir und ziehen unser gemütliches Dachzelt vor. Auf „unserer“ Estancia wohnen Rosendo, der ganz in der Nähe aufgewachsen ist, Lilly, eine Allgäuerin und ihre beiden Kinder, 15- und 17-jährig. Sie gehen im 50 km entfernten Cochrane zur Schule, wir sie während der Woche wohnen.
Im Flussdelta des Rio Nadis gibt es sieben Estancias mit einer Fläche von je etwa 500 bis 800 Hektaren. Das Leben auf den Estancias ist einfach: Zäune bauen, Schafe scheren, Rinder züchten. Gewohnt wird in einfachen Hütten. Die Küche mit dem Holzherd bildet den Mittelpunkt. Seit einigen Jahren spendet Solarstrom etwas Licht. Natelempfang oder Internet gibt es nicht, einzig eine Funkverbindung zu den benachbarten Estancias und zur Polizeistation in Cochrane.
Unsere Estancia liegt in der Nähe der bekannten Caretera Austral, der staubigen Hauptstrasse des chilenischen Patagoniens. Ein 10 km langer Feldweg führt über eine neue Hängebrücke zur Estancia Rio Nadis. Zu den Estancias auf der anderen Flusseite muss man zusätzlich per Boot übersetzen.
Ein Saumpfad führt entlang des Rio Baker. Unser 12 km lange Wanderung zu „El Saton“ dauert ganze vier Stunden, da wir immer wieder kleine Bäche queren müssen. Bei „El Salton“ ist der Weg in die Felswand gehauen. Früher war der Pfad die einzige Möglichkeit, um die Erzeugnisse der Farmen zum Pazifik zu bringen, wo sie verschifft und in die Städte im Norden gebracht wurden
Cochrane mit seinen rund 3‘000 Einwohnern, einem kleinen Spital, zwei Tankstellen und ein paar einfachen Restaurants und Pensionen ist das Zentrum dieses Teils von Patagonien. Das Zentrum im Zentrum bildet der Mercado MELERO, ein Allerweltsladen. Auf kleinstem Raum erhält man hier wirklich alles: Neben Lebensmitteln, auch Kleider, Möbel, Holzherde, Kühlschränke, Wasserpumpen, Motorsägen und vieles mehr. Nach dem Einkauf trifft man sich hier - oder gelegentlich auch auf einem Bauernmarkt - zum Schwatz, bevor man zurück auf seine Estancia fährt.
Mit einer mittleren Wassermenge von 900 Kubikmeter pro Sekunde ist der Rio Baker der wasserreichste Fluss Chile‘s. Er entwässert das Nördliche Patagonische Eisfeld. Der Rio Baker war vor 15 Jahren durch ein Wasserkraftwerk-Projekt gefährdet. Vier Staudämme und eine 2‘000 km lange Hochspannungsleitung, um den Strom in den Norden Chiles zu bringen, waren geplant. Die Bewilligungen waren - unter dubiosen Umständen - bereits erteilt. Dann begann sich Widerstand zu formieren. Umweltverbände zeigten Unzulänglichkeiten im Projekt und in den Umweltverträglichkeitsberichten auf. Die lokale Bevölkerung startete mit Protesten, die sich auf ganz Chile ausbreiteten. Immer mehr zeigte sich, dass das Projekt auch ökonomisch unsinnig war. Das Projekt wurde gestoppt, die Bewilligungen widerrufen. Zum Glück! Die ganze Gegend hätte sich verändert. Riesige Landflächen wären in den Stauseen versunken, so auch „unsere“ Estancia. Zudem hätte die Übertragungsleitung die schönsten Landschaften in halb Chile verschandelt.
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